Gerechtere Löhne und fairer Wettbewerb: EU-Kommission schlägt Reform der Entsenderichtlinie vor

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Gemäß diesem Grundsatz hat die Europäische Kommission gestern (Dienstag) einen Vorschlag vorgelegt, mit dem sie die 20 Jahre alten Regeln zur Entsendung von Arbeitnehmern in der EU umfassend reformieren will.

Die Änderungen betreffen die Entlohnung entsandter Arbeitnehmer einschließlich der Unterauftragsvergabe, die Vorschriften für Leiharbeitnehmer und die langfristige Entsendung. Unter anderem schlägt die Kommission vor, dass die durch allgemein verbindliche Tarifverträge festgelegten Vorschriften für entsandte Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige verbindlich werden.

"Der Rechtsrahmen für die Entsendung, den wir heute mit unserem Vorschlag vorgelegt haben, ist klar, gerecht und leicht durchsetzbar,“ sagte diefür Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen. Mit den vorgeschlagenen Änderungen will die EU-Kommission die Arbeitnehmer besser schützen, für mehr Transparenz und größerer Rechtsklarheit sorgen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für inländische wie entsendende Unternehmen gewährleisten.

Zwischen 2010 und 2014 hat sich die Anzahl der Entsendungen fast verdoppelt. Im Jahr 2014 wurden etwa 1,9 Mio. europäische Arbeitnehmer in andere Mitgliedstaaten entsandt. Nach Deutschland kamen über 400.000 Arbeitnehmer, die meisten von ihnen aus dem Nachbarland Polen. Aus Deutschland wurden fast 256.000 Arbeitnehmer entsendet. Die meisten arbeiteten in den Niederlanden.

Entlohnung entsandter Arbeitnehmer

Die wichtigste Änderung betrifft die Lohnsätze, auf die ein entsandter Arbeitnehmer Anspruch hat. Die derzeitige Richtlinie schreibt lediglich vor, dass für entsandte Arbeitnehmer die Mindestlohnsätze gelten. Der neue Vorschlag sieht vor, dass die gleichen Vergütungsvorschriften wie im Aufnahmemitgliedstaat gelten, so wie sie in Rechtsvorschriften oder allgemein verbindlichen Tarifverträgen festgelegt sind. Für entsandte und lokale Arbeitnehmer werden demnach die gleichen Vergütungsvorschriften gelten.

Häufig umfasst die Vergütung nicht nur die Mindestlohnsätze, sondern auch andere Bestandteile wie Prämien oder Zulagen wie beispielsweise Weihnachtsgeld, Erhöhungen des Arbeitsentgelts aufgrund des Dienstalters aber auch Schlechtwettergeld oder Zulagen für besondere Arbeiten. Die Mitgliedstaaten müssen auf transparente Weise die verschiedenen Bestandteile angeben, aus denen sich die Vergütung in ihrem Hoheitsgebiet zusammensetzt. Diese Bestandteile müssen nun – sofern sie in Rechtsvorschriften oder in allgemein verbindlichen Tarifverträgen festgelegt sind – bei der Entlohnung entsandter Arbeitnehmer berücksichtigt werden.

Der Vorschlag stellt sicher, dass entsandte Arbeitnehmer entgeltrechtlich genauso behandelt werden wie lokale Arbeitnehmer.

Außerdem schlägt die Kommission vor, dass die durch allgemein verbindliche Tarifverträge festgelegten Vorschriften für entsandte Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige verbindlich werden. Derzeit gilt dies nur für das Baugewerbe, und die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, ob sie allgemein verbindliche Tarifverträge auf entsandte Arbeitnehmer in anderen Sektoren anwenden wollen. In einigen Mitgliedstaaten sind allgemein verbindliche Tarifverträge bereits in sämtlichen Sektoren verbindlich für entsandte Arbeitnehmer. Für diese Länder bringt die neue Vorschrift keine Änderungen mit sich. Andere Mitgliedstaaten, wie Deutschland beispielsweise, haben in ihren Rechtsvorschriften nur für ausgewählte Sektoren Gebrauch von dieser Option gemacht.

Bei Untervergabeketten sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit bekommen, für entsandte Arbeitnehmer die Vergütungsvorschriften vorzusehen, die auch für den Hauptauftragnehmer gelten – und zwar auch dann, wenn sich diese Vorschriften aus Tarifverträgen ergeben, die nicht allgemein verbindlich sind.

Vorschriften über Leiharbeitsunternehmen

Der Grundsatz der Gleichbehandlung mit lokalen Leiharbeitnehmern wird auch auf entsandte Leiharbeitnehmer angewandt, wodurch die derzeitigen Rechtsvorschriften über die Leiharbeit auf nationaler Ebene angeglichen werden.

Im EU-Recht ist bereits festgelegt, dass für Arbeitnehmer, die in einem nationalen Kontext von einem Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt werden, die gleichen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für die Kollegen in dem Unternehmen gelten müssen, in dem sie arbeiten. Bis jetzt galt dieser Grundsatz nicht notwendigerweise für Arbeitnehmer, die von einem Leiharbeitsunternehmen in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wurden. Mit dem Vorschlag würde also gewährleistet, dass entsandte Leiharbeitnehmer entgeltrechtlich gleich behandelt werden. Deutschland hat diese Option der bestehenden Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Daher ergibt sich hier keine Änderung. 12 EU-Staaten müssten allerdings ihr nationales Recht ändern, um diesen Grundsatz aufzunehmen.

Langfristige Entsendung

Die Kommission schlägt weiterhin vor, dass für entsandte Arbeitnehmer, die für länger als zwei Jahre entsandt werden, mindestens die verbindlichen arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaates gelten.

Mit der vorgeschlagenen Änderung würden langfristig entsandte Arbeitnehmer in den meisten Bereichen des Arbeitsrechts genauso behandelt werden wie lokale Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat – und zwar ab dem ersten Tag, wenn abzusehen ist, dass der Arbeitnehmer für länger als 24 Monate entsandt wird. In allen anderen Fällen kommt die Regel zur Anwendung, sobald die Entsendungsdauer 24 Monate überschreitet.

Demnach würden beispielsweise Arbeitnehmer, die für über zwei Jahre nach Deutschland entsandt werden, nach deutschem Recht Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung genießen, auch wenn diese Art von Schutz im Arbeitsrecht des Herkunftsmitgliedstaates nicht vorgesehen ist.

Warum schlägt die EU-Kommission die Reform vor?

Seit 1996 hat sich wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Lage in der Europäischen Union hat sich seit 1996 stark verändert. Der Binnenmarkt ist stark gewachsen und die Einkommensunterschiede haben zugenommen; dadurch wurden unerwünschte Anreize geschaffen, diese Unterschiede durch die Entsendung auszunutzen. Der Rechtsrahmen der Richtlinie von 1996 wird diesen neuen Gegebenheiten nicht mehr in vollem Umfang gerecht.

Da entsendende Unternehmen überdies nur an die Mindestlohnsätze des Aufnahmemitgliedstaats gebunden sind, sind große Einkommensunterschiede zwischen entsandten und lokalen Arbeitnehmern die Folge, insbesondere in Mitgliedstaaten mit relativ hohen Arbeitsentgelten. Einschlägigen Berichten zufolge verdienen entsandte Arbeitnehmer in einigen Sektoren und Mitgliedstaaten bis zu 50 Prozent weniger als lokale Arbeitnehmer. Erhebliche Einkommensunterschiede führen zu einer Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen, wodurch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt wird. Die Anpassung der Entsendevorschriften an die gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ist daher aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht notwendig.