Lange Zeit war man im politischen Denken der sogenannten Säkularisierungsthese gefolgt, die besagt, dass im Spannungsfeld zwischen Moderne und Religion die Religion langfristig einen Bedeutungsverlust erfahren wird. Rationalisierung, Individualisierung und Ausdifferenzierung von Gesellschaften, die Auflösung alter, vor allem ländlicher Traditionen und die Demokratisierung würden dafür sorgen, dass die Religion auf nationaler und internationaler Ebene immer weiter in den Hintergrund gedrängt werde.
Doch betrachtet man sich die Bedeutung von Religion im Jahre 2016 wird deutlich: diese These ist, wenn überhaupt, nur auf Europa anzuwenden und auch hier mit Einschränkungen.
Eindrücklich auf die internationale Bühne zurückgekehrt ist das Thema Religion mit den Ereignissen vom 11. September 2001 und dem Erstarken des Islamischen Staats in den letzten zwei Jahren. Die Bedeutung von Religion ist daher nach wie vor von Bedeutung. In seinem Vortrag „Religiöse Gewalt und politische Ordnung Europas. Ein historischer Rückblick aus aktuellem Anlass“ referierte Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe am Mittwoch, 01. Juni, in einem historischen Abriss mit Blick auf Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau und Baruch de Spinoza über die philosophischen Entwicklungen eines Staates, in dem Staatspolitik und Religion voneinander getrennt sind. Deutlich wurde, dass die Religion bei der Entwicklung modernerer Staatstheorien durchaus eine entscheidende Rolle spielte
Hobbes, Spinoza und Rousseau sind in ihrem Arbeiten geprägt worden durch den 30-jährigen Krieg, der von 1618-1648 in Europa wütete und im Grund ein Krieg zwischen Katholiken und Protestanten war. Alle drei stellten sich die Frage, wie man Kriege, die auf Religion basierten, eindämmen könne.
Thomas Hobbes setzte seinerseits auf die Unteilbarkeit des Souveräns, der mit einem umfassenden Eingriffsrecht ausgestattet sein solle, was ihm auch erlaube, in beispielsweise religiösen Fragen zu entscheiden.
Baruch de Spinoza setzte sich in seinem Werk mit der Frage nach der Begründung staatlicher Ordnung auseinander. Dabei machte er deutlich, dass der Souverän die Ordnungsmacht in einem Staat sei und jeder Staatsbürger dieser zu folgen habe. Sollte es zu einem Konflikt zwischen der Anordnung durch die politische Autorität und beispielsweise der Religion eines Staatsbürgers kommen, so habe der Staatsbürger in jedem Fall der Anordnung der politischen Autorität zu folgen.
Jean-Jacques Rousseau schließlich stellt sich in seinem Hauptwerk „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes“ die Frage, wieso in der Antike keine Glaubenskriege geführt wurden. Er kommt zu dem Schluss, dass Politik und Religion in der Antike nicht zu trennen waren. Es gab zwar viele Kriege, diese waren aber keine Religionskriege. Kriege wurden mit Religion geführt, aber nicht wegen der ihr. Für Rousseau kommen die ersten Religionskriege mit dem Erstarken des Christentums auf. Rousseau sieht im Christentum erstmals Staat und Religion getrennt und gleichzeitig die Gefahr, dass mit der Frage, ob man „der Krone oder dem Krummstab folgen sollte“ eine Spaltung der Gesellschaft verbunden sein könne. Dahingehend lautet seine Antwort ebenfalls klar und deutlich, dass es eine politische Autorität benötigt, welche die alleinige Entscheidungsgewalt besitzt.
In der Realität ist kein Staat diesen Denkern vollständig gefolgt, allerdings hat sich – vor allem in europäischen Demokratien, um die es an diesem Abend ging – eine Trennung von Religion und Staat herausgebildet. Dies äußert sich darin, dass der Staat das alleinige Waffenmonopol bekam und der Staat sich wiederum dazu verpflichtet, diese Waffen nicht mehr zum religiösen Kampf einzusetzen.
Nach dem Vortrag wurde im Publikum heftig diskutiert. Dabei ging es weniger um die Auseinandersetzung mit dem Philosophen als vielmehr um Fragen von Kruzifixen in Schulen und öffentlichen Einrichtungen oder auch um die Kopftuchdebatte.
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