Diskussion: Belarus und Europa

Die Europa-Union Aachen lud in Kooperation mit EUROPE DIRECT Aachen ein zu einer Veranstaltung in Erinnerung an die Karlspreis-Verleihung 2022 an die Belarussinnen Maria Kalesnikava, Swetlana Tichanowskaja und Veronica Tsepkalo.

23 04 26 Belarus Referentin 3002020 wurde in Belarus gewählt. Der Sieg des Diktators Lukaschenka war schon vor der Wahl festgelegt worden. Wie lange können Lukaschenka und Putin die Demokratisierung in Belarus hinauszögern? Können Deutschland, die Europäische Union und der übrige Westen für die Demokratisierung in Belarus mehr tun als bisher? Über diese Fragen diskutierten Olga Dryndova und Simon Gutleben mit dem Publikum.

Olga Dryndova ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Osteuropa und engagiert sich seit einigen Jahren in NGOs sowie Stiftungen, die sich in den Bereichen Stärkung der Zivilgesellschaft, Menschenrechte und Wahlbeobachtung verorten lassen. Simon Gutleben (Landesgeschäftsführer der Europa-Union Deutschland / Landesverband NRW) fungierte als Moderator dieser Veranstaltung.

An der Veranstaltung im Grashaus nahmen 16 Personen teil und stellten zahlreiche Fragen an die Referentin Olga Dryndova.

Zu Beginn der Veranstaltung gab Simon Gutleben einen kurzen Überblick über den Ablauf des Abends. Zuerst wurde der historische Hintergrund erörtert. Die Gastreferentin stellte eine Grafik über die Stabilität von Autokratien vor, die auf drei „Säulen“ basiert: Bevölkerung, Dissidenten und Eliten.

23 04 26 Belarus 300Es wurde erörtert, dass die Autokratie in Belarus durch die Einschüchterung der zivilen Bevölkerung sowie der Gefahr des Verlustes der sozialen Stellungen stabilisiert wird. In diesem Kontext wurde von einer Art „Gesellschaftsvertrag“ gesprochen, indem man nur profitiere, wenn die einzelnen Bürger*innen sich politisch nicht engagieren oder organisieren. Außerdem werde die Bevölkerung durch das Sammeln von individuellen und personenbezogenen Informationen verängstigt. Dies geschehe beispielsweise durch den belarussischen Geheimdienst (KGB). Es kam die Frage auf, ob die Referenden in Belarus demokratisch seien. Die Wahlen und Referenden in Belarus seien als „Prozess“ zu betrachten, durch welchen das belarussische Regime der Bevölkerung ein „Gefühl“ von Legitimität seiner Macht vermitteln könne.
Seit 2020 sei die Unterstützung von Präsident Lukaschenka deutlich zurückgegangen, wie die geringe Teilnahme von Bürger*innen an Straßenprotesten verdeutliche. Seit 2020 habe Lukaschenko weniger als 50% der Bevölkerung hinter seiner politischen Agenda.

23 04 26 Belarus Praesi 300In Bezug auf die Dissident*innen gab es vor allem Proteste gegen die Folter und Misshandlungen in belarussischen Gefängnissen. Viele demokratische Kräfte hätten das Land verlassen und könnten dadurch kaum Einfluss auf die Bevölkerung in Belarus nehmen.

Aus dem Publikum wurde gefragt, inwieweit die Eliten in Belarus – die zudem kaum präsent in der Öffentlichkeit seien – systemloyal gemacht wurden. Hierbei wurde erklärt, dass die Eliten oftmals einen guten Verdienst und teilweise Gefälligkeiten erhielten. Zusätzlich würden Personen in höheren Stellungen kontinuierlich ausgewechselt, damit keine Person „zu viel“ Macht aufbauen kann. Die Machtverteilung sei eine vertikale und keine horizontale, d.h. es wird von oben nach unten delegiert.

Im zweiten Teil wurden die Veränderungen innerhalb der belarussischen Bevölkerung seit den ersten Protesten und bis in die Gegenwart betrachtet und anschließend diskutiert. Es wurden Statistiken herangezogen, die Veränderungen der Haltung der belarussischen Bevölkerung interpretieren lassen. Seit den Protesten sei die Bevölkerung eher der Auffassung, der Staat könne weniger Probleme lösen und man müsse mehr auf individualer Ebene handeln.

Zwischendurch wurden Fragen zur Souveränität und Abhängigkeit zu Russland gestellt. Es wurde diesbezüglich betont, dass Lukaschenko „maximal“ abhängig von Russland sei und die Souveränität Belarus zwar in Hinblick auf Militär und Bevölkerung gegeben sei, jedoch die Abhängigkeit und das „Wohlwollen“ Russlands eine eminente Rolle spielten.
Am Ende gab es eine kurze Fragerunde, in der vor allem die Frage nach der Atomwaffenstationierung behandelt wurde. Dieses „Projekt“ gäbe es schon länger, wurde aber bisher nicht umgesetzt.

Die Veranstaltung ist Teil der Projektreihe „Zukunft Europas. Auf dem Weg in eine zukunftsfähige EU“ und wurde durch die Staatskanzlei NRW unterstützt.