Umsetzung des gemeinsamen EU-Asylrechts unzureichend

EU-Kommission leitet Verfahren gegen 19 Mitgliedstaaten ein

Kurz vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingskrise hat die Europäische Kommission die Umsetzung des gemeinsamen Asylrechts in den Mitgliedstaaten angemahnt. Mit insgesamt 40 Beschlüssen über Vertragsverletzungsverfahren gegen 19 Mitgliedstaaten - darunter auch zwei gegen Deutschland - will die Kommission die vollständige Anwendung des EU-Rechts für Migration und Asyl gewährleisten. An Deutschland richtete die EU-Kommission sogenannte Aufforderungsschreiben wegen Nichtmitteilung nationaler Maßnahmen zur Umsetzung der Asylverfahrensrichtlinie und der Richtlinie über Aufnahmebedingungen. Bei diesen Rechtsvorschriften geht es um gerechtere, schnellere und hochwertigere Asylentscheidungen (Asylverfahrensrichtlinie) sowie humane Aufnahmebedingungen für Asylbewerber (Richtlinie über Aufnahmebedingungen).

Die Kommission hat zudem am 28. August 2015 an Deutschland, Italien, Griechenland, Ungarn und Zypern Verwaltungsschreiben gesandt, in denen diese Mitgliedstaaten zu einer Klarstellung hinsichtlich der Einhaltung der Eurodac-Verordnung aufgefordert werden. In weiteren Verwaltungsschreiben vom 11. September 2015 wurden Deutschland, Italien und Griechenland zu einer Klarstellung im Hinblick auf den Erlass und die Durchsetzung von Rückkehrentscheidungen aufgefordert.

Der Erste Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, erklärte dazu: „Solidarität und Verantwortung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben auf einer Sondertagung des Europäischen Rates im April die zügige und vollständige Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gefordert, um gemeinsame europäische Normen im Rahmen der bestehenden Rechtsvorschriften zu gewährleisten. Mit den heute eingeleiteten 40 Vertragsverletzungsverfahren will die Kommission als Hüterin der Verträge dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten tatsächlich zügig und vollständig das umsetzen und anwenden, was sie früher zugesagt haben. Unser Gemeinsames Europäisches Asylsystem kann nur funktionieren, wenn sich jeder an die Regeln hält.“

Avramopoulos: "Jeder muss sich an gemeinsame Normen halten"

Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration und Inneres, sagte: „In Europa muss sich jeder an die gemeinsam vereinbarten Normen für die Aufnahme von Asylsuchenden halten. Alle teilnehmenden Mitgliedstaaten müssen die bei ihnen gestellten Asylanträge gemäß den gemeinsamen Kriterien und Normen bearbeiten, die von den nationalen Behörden verwendet werden, um festzustellen, ob die betreffende Person Anspruch auf internationalen Schutz hat. Diese Normen müssen vollständig angewandt und eingehalten werden, wobei stets die Würde und die Menschenrechte der Antragsteller zu achten sind.“

Fünf verschiedene Rechtsakte bilden den Kern des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (die Dublin-Verordnung, die Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie, die Neufassung der Anerkennungsrichtlinie, die Neufassung der Richtlinie über Aufnahmebedingungen und die Eurodac-Vorschriften über die Abnahme von Fingerabdrücken).

Am 13. Mai 2015 legte die Europäische Kommission ihre Europäische Migrationsagenda vor, die eine umfassende Strategie für eine bessere Steuerung der Migration in all ihren Aspekten enthält. In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission verpflichtet, sich vorrangig mit der Umsetzung und der praktischen Anwendung der kürzlich erlassenen Asylvorschriften zu befassen, wenn sie die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren erwägt. Die Kommission hat heute 37 neue Verfahren eingeleitet, ist in zwei anhängigen Verfahren zur nächsten Verfahrensstufe übergegangen und hat in einem Fall ein zweites ergänzendes Aufforderungsschreiben übermittelt.

Vertragsverletzungsverfahren in drei Stufen

Aufforderungsschreiben sind die erste förmliche Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens. Nach Erhalt eines Aufforderungsschreibens haben die Mitgliedstaaten zwei Monate Zeit, um dieses zu beantworten. Dabei müssen sie der Kommission in Fällen, in denen eine Nichtmitteilung angemahnt wurde, ihre nationalen Umsetzungsmaßnahmen mitteilen. Fallen die Antworten nicht zufriedenstellend aus oder werden nationale Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie weiterhin nicht mitgeteilt, kann die Europäische Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln und somit zur zweiten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens überzugehen.