EU-Meldungen

EU-Kommission schlägt Notfallmaßnahmen für einen möglichen No-Deal-Brexit vor

Nach ihrem Treffen mit Premierminister Boris Johnson in Brüssel hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Verhandlungsteams noch bis Sonntagabend Zeit gegeben, um zu einer Einigung zu kommen. „Die Verhandlungen gehen weiter. Da das Ende des Übergangszeitraums jedoch kurz bevorsteht, gibt es keine Garantie dafür, dass, falls ein Abkommen zustande kommt, dieses auch rechtzeitig in Kraft treten kann. Wir müssen nun auf alle Eventualitäten vorbereitet sein – auch darauf, dass wir am 1. Januar 2021 kein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich haben“, erklärte von der Leyen. Deshalb legte die Kommission Notfallmaßnahmen vor, die grundlegende Luft- und Straßenverkehrsverbindungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gewährleisten und Schiffen gegenseitigen Zugang zu Fanggebieten ermöglichen sollen.

Brexit Schilder 300Wenngleich sich die Kommission weiterhin nach Kräften bemüht, ein für beide Seiten vorteilhaftes Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu erreichen, bestehen inzwischen doch erhebliche Zweifel, ob ein solches Abkommen bis zum 1. Januar 2021 zustande kommen wird.

„Wir haben ein lebhaftes und interessantes Gespräch über den Stand der noch offenen Fragen geführt. Wir haben ein klares Verständnis der Position der jeweils anderen Seite erlangt. Die Positionen liegen nach wie vor weit auseinander“, erklärte von der Leyen am Mittwochabend. „Wir sind übereingekommen, dass unsere Verhandlungsteams sofort wieder zusammenkommen sollen, um sich um eine Lösung dieser wesentlichen Fragen zu bemühen. Wir werden bis zum Ende des Wochenendes zu einer Entscheidung gelangen.“

Gezielte Notfallmaßnahmen

Mit den Notfallmaßnahmen soll der Zeitraum überbrückt werden, in dem kein Abkommen in Kraft ist. Sollte kein Abkommen zustande kommen, laufen die Maßnahmen nach einer festgelegten Zeit wieder aus.

Die Kommission hat wiederholt an alle Interessenträger in sämtlichen Sektoren appelliert, sich auf alle möglichen Szenarien für den 1. Januar 2021 vorzubereiten. Auch wenn ein No-Deal in vielen Bereichen zu Beeinträchtigungen führen dürfte, wären einige Sektoren doch unverhältnismäßig stark betroffen, da sie nicht auf geeignete Alternativlösungen ausweichen können und die Akteure in einigen Sektoren selbst keine Abhilfemaßnahmen ergreifen können. Zur Abfederung einiger erheblicher Beeinträchtigungen, zu denen es am 1. Januar ohne Abkommen mit dem Vereinigten Königreich käme, legt die Kommission vier Notfallmaßnahmen vor:

  • grundlegende Anbindungen im Luftverkehr: einen Vorschlag für eine Verordnung, mit der bestimmte Luftverkehrsdienste zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU für einen Zeitraum von sechs Monaten gewährleistet werden sollen, sofern das Vereinigte Königreich dasselbe garantiert;
  • Flugsicherheit: einen Vorschlag für eine Verordnung, mit der sichergestellt werden soll, dass verschiedene Produktsicherheitsbescheinigungen in EU-Luftfahrzeugen nahtlos weiter verwendet werden können, damit diese Luftfahrzeuge nicht am Boden bleiben müssen;
  • grundlegende Anbindungen im Straßenverkehr: einen Vorschlag für eine Verordnung zur Gewährleistung grundlegender Verbindungen sowohl im Güter‑ als auch im Personenkraftverkehr für einen Zeitraum von sechs Monaten, sofern das Vereinigte Königreich den EU-Kraftverkehrsunternehmern dasselbe garantiert;
  • Fischerei: einen Vorschlag für eine Verordnung für den weiteren gegenseitigen Zugang von Schiffen der EU und des Vereinigten Königreichs zu Fanggebieten in den Gewässern der jeweils anderen Partei nach dem 31. Dezember 2020. Der Rechtsrahmen soll bis zum 31. Dezember 2021 oder – sofern vorher ein Fischereiabkommen mit dem Vereinigten Königreich geschlossen wird – bis zum Abschluss eines solchen Abkommens gelten. Um die Nachhaltigkeit der Fischerei zu gewährleisten und da die Fischerei für die wirtschaftliche Existenz vieler Gemeinschaften von großer Bedeutung ist, müssen die Genehmigungsverfahren für Fischereifahrzeuge vereinfacht werden.

Die Kommission wird eng mit dem Europäischen Parlament und dem Rat zusammenarbeiten, damit alle vier Verordnungsvorschläge am 1. Januar 2021 in Kraft treten können.

Vorsorge- und Vorbereitungsmaßnahmen für mögliche Szenarien am 1. Januar 2021 sind heute wichtiger denn je. Zu Verwerfungen wird es ohnehin kommen, unabhängig davon, ob die EU und das Vereinigte Königreich ein Abkommen über ihre künftigen Beziehungen schließen oder nicht. Dies hat die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, aus der Union auszutreten und nicht mehr am EU-Binnenmarkt und an der Zollunion teilzunehmen, zwangsläufig zur Folge. Die Kommission hat in dieser Hinsicht schon immer einen klaren Standpunkt vertreten.

Hintergrund

Das Vereinigte Königreich ist am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Damals einigten sich beide Seiten auf einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020, in dem das Unionsrecht weiter für das Vereinigte Königreich gilt. Die EU und das Vereinigte Königreich nutzen diesen Zeitraum, um die Bedingungen ihrer künftigen Partnerschaft auszuhandeln. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist ungewiss.

Das Austrittsabkommen bleibt in Kraft und schützt neben vielen anderen Dingen die Rechte von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich, unsere finanziellen Interessen sowie Frieden und Stabilität auf der irischen Insel.

Öffentliche Verwaltungen, Unternehmen, Privatpersonen und Interessenträger auf beiden Seiten müssen sich auf das Ende des Übergangszeitraums vorbereiten. Die Kommission arbeitete eng mit den EU-Mitgliedstaaten zusammen, um Bürger und Unternehmen über die Folgen des Brexit zu informieren. Sie veröffentlichte fast 100 branchenspezifische Leitlinien in allen Amtssprachen der EU mit detaillierten Informationen darüber, was Behörden, Unternehmen und Privatpersonen unternehmen müssen, um sich auf die Veränderungen zum Jahreswechsel vorzubereiten.

Im Rahmen einer virtuellen „Hauptstädtetour“ erörtert die Kommission seit Juli mit den Mitgliedstaaten ihre jeweiligen Vorbereitungspläne.

Darüber hinaus hat die Kommission in den letzten Monaten eine Reihe von Informationskampagnen gestartet und ihre Kontakte mit den Interessenträgern intensiviert. Sie bot Schulungen und Beratungen für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten an und wird auch weiterhin sektorspezifische Seminare auf technischer Ebene mit allen Mitgliedstaaten veranstalten, um zu einer besser aufeinander abgestimmten Umsetzung der Vorbereitungsmaßnahmen beizutragen, insbesondere im Bereich der Grenzübertrittskontrollen bei Personen und Gütern.

Weitere Informationen: