In einem Sommerinterview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen engagierten Kampf gegen den Klimawandel weltweit geworben und über den Erfolg der europäischen Impfstoffstrategie gesprochen. Um globale Herausforderungen zu bewältigen, brauche es „ein Europa, das offen und aktiv mit der Welt an Lösungen arbeitet“. Beim Kampf gegen die Erderwärmung sei es Zeit zu handeln: „Abgewartet haben wir alle miteinander schon viel zu lange. Ich will, dass die EU jetzt weltweit vorangeht.“ Mit Blick auf die Coronapandemie betonte von der Leyen, dass in kaum einer Region der Erde so viele Menschen vollständig geimpft seien wie unter den 440 Millionen Europäer*innen. „Und wir Europäer sind, darauf bin ich besonders stolz, immer offen und fair geblieben zum Rest der Welt. Wir haben parallel Drittstaaten mit mehr als 550 Millionen Dosen Impfstoff versorgt – fast so viel, wie in die EU ausgeliefert wurden. Andere wie Großbritannien und die USA haben sich abgeschottet.“ Sie rief die USA auf, die Einreisebeschränkungen für Reisende aus der EU aufzuheben. „Das darf sich nicht noch wochenlang ziehen.“
Zum Europäischen Grünen Deal als Wachstumstreiber
Die Umstellung auf eine klimafreundliche Wirtschaft und Gesellschaft werde anstrengend, so von der Leyen. „Aber wenn wir nichts tun, liegen die Kosten am Ende noch höher.“
„Europa hat alles, was es für den Erfolg braucht. Die Ressourcen, die Wissenschaftslandschaft, die innovativen Unternehmen. Wir können jetzt als Europäer ein Beispiel geben und auch weltweite Standards setzen. Das sichert nachhaltige Arbeitsplätze und Wohlstand in der EU“, sagte die Kommissionspräsidentin. „Sehen Sie sich die Autoindustrie an. Noch vor wenigen Jahren sagten deren Verbände, ein Verzicht auf den Verbrenner bis 2035 sei unmöglich zu schaffen. Jetzt stelle ich fest: Einige Konzerne werben damit, schon 2030 mit der Umstellung fertig sein zu wollen. Sie wissen, dass da ein riesiger Markt entsteht, und investieren kräftig.“
Sie treibe die Frage um, wie die Europäer beim ökologischen Wandel die Nase vorn haben könnten, so von der Leyen. „Der europäische Green Deal löst eine gewaltige Investitionswelle aus. Allein 500 Milliarden Euro steuert in den nächsten Jahren die EU-Ebene bei, dazu kommen die nationale Förderung und das Geld privater Investoren. Diesen Anschub müssen wir für unsere globale Marktstellung nutzen. Ich will, dass die EU die Klima- und Umwelttechnologien der Zukunft nach China exportiert – nicht umgekehrt.“
Die EU müsse Investitionen in saubere Technologien schützen. „Deswegen werden wir einen Grenzausgleichsmechanismus einführen. Unternehmen, die schmutzige Produkte einführen wollen, müssen einen Ausgleich bezahlen“, erklärte von der Leyen. „Wer auch klimafreundlich produziert, muss das nicht. CO₂ wird also einen Preis haben, so oder so.“
In den USA habe sich unter Präsident Biden vieles zum Positiven geändert, sagte die Kommissionspräsidentin. „Jetzt kommt es darauf an, dass unsere amerikanischen Freunde es der EU nachtun und im Detail darlegen, wie ihr Plan zur Klimaneutralität aussieht, durchdekliniert für alle Sektoren der Wirtschaft. Hilfreich wäre auch, wenn sie sich wieder verlässlich an globalen Programmen beteiligten, die Entwicklungsländer finanziell dabei unterstützen, den technologischen Sprung in eine klimafreundlichere Art des Wirtschaftens hinzubekommen.“
Der Kampf gegen den Klimawandel müsse den sozialen Ausgleich beinhalten, unterstrich von der Leyen auch mit Blick auf die sogenannten „Gelbwesten“-Proteste in Frankreich vor einigen Jahren. „Die EU-Kommission hat einen Klimasozialfonds vorgeschlagen, der von 2025 an bis 2032 inklusive der nationalen Beiträge fast 150 Milliarden Euro umfassen soll. Mit dem Geld sollte es gelingen, dass Menschen mit kleinen Einkommen nicht überfordert werden, wenn sie zum Beispiel energiesparender heizen oder auf ein Elektroauto umsteigen wollen. Der europäische Green Deal wird nur funktionieren, wenn er fair und sozial ausgewogen ist. Auch hier gelten die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft.“ Die Ärmsten litten am stärksten unter dem Klimawandel.
Zur EU-Impfstoffstrategie
Zur gemeinsamen Beschaffung der Impfstoffe gegen das Coronavirus betonte Präsidentin von der Leyen, dass sich diese trotz Anlaufproblemen als richtig erwiesen habe. „Wenn 27 Staaten zusammenwirken und für 440 Millionen Menschen geordert werden muss, ist erst mal alles etwas komplexer. Aber wie das Ergebnis heute aussehen würde, wenn jeder EU-Staat auf eigene Faust Impfstoff besorgt hätte, will ich mir lieber nicht ausmalen“, so von der Leyen. „Die ganze Welt war hinter den wenigen Produzenten her. Kleinere EU-Staaten wären leer ausgegangen, und unser hochvernetzter Binnenmarkt wäre kollabiert. Heute stellen wir fest: In kaum einer Region der Erde sind so viele Menschen per Impfung vollständig geschützt wie unter den mehr als 440 Millionen EU-Bürgern.“
Bei Biontech habe die EU weitere 1,8 Milliarden Dosen bis zum Jahr 2023 bestellt. „Das ist der größte Anschlussauftrag weltweit und reicht für mögliche Auffrischungsimpfungen in der EU und Anpassungen an mögliche neue Virusvarianten. Und wir werden auch weiter Impfdosen an Nachbarn abgeben können, etwa nach Afrika.“
Zu den Einreisebeschränkungen der USA
Gerichtet an die USA sagte von der Leyen, dass sie eine Aufhebung der Reisebeschränkungen für Europäer*innen erwarte, nachdem die EU ihre Grenzen für Reisende aus den USA wieder geöffnet hatte. „Wir pochen darauf, dass für Einreisende in beiden Richtungen vergleichbare Regeln gelten. Die epidemiologische Lage in den USA und in der EU ist heute sehr ähnlich. Die EU hat bereits im Juni die Einreisebeschränkungen für US-Bürger aufgehoben. Wir müssen das Problem so schnell wie möglich lösen und sind mit unseren amerikanischen Freunden im Kontakt. Das darf sich nicht noch wochenlang ziehen.“
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