Im Streit um den Nürburgring wirft die EU-Kommission dem Land Rheinland-Pfalz Verschwendung von Steuergeld vor
Die öffentlichen Fördermaßnahmen für die Rennstrecke, den Freizeitpark und die Hotels am Nürburgring waren nicht mit den EU-Beihilferechtsvorschriften vereinbar. Sie haben den damaligen Eigentümern und Betreibern einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft. Zu diesem Ergebnis kam die Europäische Kommission am 01.10.2014 nach einer eingehenden Prüfung. Sämtliche begünstigte Unternehmen befinden sich in einem Insolvenzverfahren. Die Beihilfen müssen im Einklang mit dem nationalen Insolvenzverfahren zurückgezahlt werden. Ferner hat die Kommission festgestellt, dass die Vermögenswerte der früheren Eigentümer in einem im März 2014 abgeschlossenen, offenen Bietverfahren zu ihrem Marktwert veräußert wurden. Somit haftet der Erwerber nicht für die Rückzahlung der unvereinbaren Beihilfen.
Der für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsident der Kommission, Joaquín Almunia, erklärte: „Regierungen dürfen Unternehmen in Schwierigkeiten unterstützen, sofern sie dabei die EU-Beihilfevorschriften beachten, mit denen die Verschwendung von Steuergeldern und ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden sollen. Solche Beihilfen müssen dazu dienen, Unternehmen umzustrukturieren und wieder auf Erfolgskurs zu bringen, statt sie künstlich über Wasser zu halten. Im Falle des Nürburgrings verstießen die Fördermaßnahmen ganz klar gegen die Beihilfevorschriften.“
Im März 2012 leitete die Kommission eine eingehende Prüfung einer Reihe von Beihilfen in Gesamthöhe von 456 Mio. Euro ein, die den Nürburgring-Gesellschaften im Zeitraum 2002-2012 in erster Linie vom Land Rheinland-Pfalz gewährt worden waren. Die Untersuchung wurde im August 2012 auf weitere Maßnahmen ausgedehnt, mit denen eine unmittelbar bevorstehende Insolvenz der Unternehmen abgewendet werden sollte. Deutschland meldete die Maßnahmen nicht vorher bei der Kommission zur Genehmigung an, wie es nach den EU-Vorschriften erforderlich gewesen wäre.
Die Untersuchung ergab, dass kein privater Marktteilnehmer zu ähnlichen Bedingungen in die Nürburgring-Gesellschaften investiert hätte. Folglich stellen die Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne der EU-Vorschriften dar.
Die drei früheren Eigentümergesellschaften des Nürburgrings befanden sich mindestens seit 2002, 2007 bzw. 2008 in Schwierigkeiten. Nach EU-Recht können solche Unternehmen nur Beihilfen erhalten, wenn ein Umstrukturierungsplan die Wiederherstellung ihrer langfristigen Rentabilität gewährleistet. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die öffentliche Förderung auf das erforderliche Minimum beschränkt ist und öffentliche Gelder nicht vergeudet werden, um angeschlagene Unternehmen künstlich auf dem Markt zu halten. Die deutschen Behörden legten jedoch keinen Umstrukturierungsplan für die Nürburgring-Gesellschaften vor. Daher kann die Beihilfe nicht nach den EU-Vorschriften gerechtfertigt werden und muss im Einklang mit dem nationalen Insolvenzverfahren zurückgezahlt werden.
Die drei früheren Eigentümergesellschaften, die alle letztlich staatliche Unternehmen sind, befinden sich derzeit im Insolvenzverfahren. Das Bietverfahren zur Veräußerung ihrer Vermögenswerte auf dem offenen Markt wurde im Mai 2013 eingeleitet und im März 2014 abgeschlossen. Die Kommission stellte fest, dass das Verfahren offen, transparent und diskriminierungsfrei war und die Veräußerung zum Marktwert erfolgte. Daher gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass der Erwerber der Vermögenswerte nicht für die Rückzahlung der Beihilfen haftbar gemacht werden kann.
Hintergrund
Der nahe der Stadt Nürburg gelegene Nürburgring-Komplex besteht im Wesentlichen aus einer Rennstrecke, einem Freizeitpark und Hotels. Für diesen Komplex wurden mehrere Fördermaßnahmen durchgeführt, die Kapitalzuführungen, Darlehen, öffentliche Garantien, Patronatserklärungen, Rangrücktritt, günstigere Pachtzinsen als marktüblich, Leistungsvergütungen und Zuschüsse umfassten. Die Maßnahmen wurden überwiegend vom Land Rheinland-Pfalz und über öffentliche Unternehmen gewährt, die von dem Bundesland kontrolliert werden. Mit den Fördermaßnahmen sollte ein Beitrag zu den Ausgaben für den Bau und den Betrieb von Einrichtungen mit unmittelbarem Bezug zur Rennstrecke (v. a. einer Tribüne) und von Tourismuseinrichtungen (Freizeitaktivitäten, Unterkünfte, Veranstaltungen, Einkaufsmöglichkeiten, Gaststätten und Glücksspiel) sowie zu den Ausgaben für die Veranstaltung von Formel-1-Rennen geleistet werden.
Aus dem Kommissionsbeschluss, für den alle Beihilfemaßnahmen geprüft wurden, geht hervor, dass über alle zum Zeitpunkt der Gewährung als Beihilfen einzustufenden Maßnahmen insgesamt mindestens 1,278 Mrd. Euro bereitgestellt wurden. In diesem Betrag sind die bereits von den Empfängern zurückgezahlten Beihilfen, die sich nach Angaben Deutschlands auf insgesamt 500 Mio. Euro belaufen, nicht berücksichtigt.
Staatliche Zuwendungen für Unternehmen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, können als beihilfefrei im Sinne der EU Beihilfevorschriften betrachtet werden, wenn sie zu Bedingungen gewährt werden, die für einen privaten Marktteilnehmer annehmbar wären (Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers). Wird dieser Grundsatz nicht befolgt, gilt die staatliche Förderung als staatliche Beihilfe im Sinne der EU Beihilfevorschriften (Artikel 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV), da dem begünstigten Unternehmen daraus ein wirtschaftlicher Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern erwächst. Dann prüft die Kommission, ob die betreffende Förderung mit den EU-Vorschriften (z. B. den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten von 2004), nach denen bestimmte Arten von Beihilfen zulässig sind, im Einklang steht.
Um zu ermitteln, ob bei einer Veräußerung von Vermögenswerten Beihilfen an die neuen Eigentümer weitergegeben wurden, prüft die Kommission, ob zwischen dem neuen und dem früheren Eigentümer wirtschaftliche Kontinuität besteht. Dabei legt die Kommission unter anderem folgende Indikatoren zugrunde: Gegenstand der Veräußerung (Aktiva und Passiva, Fortbestand der Belegschaft, gebündelte Aktiva), Kaufpreis, Identität des/der Erwerber(s), Zeitpunkt der Veräußerung und die ökonomische Folgerichtigkeit der Transaktion. Im Falle des Nürburgrings bestand offenbar keine wirtschaftliche Kontinuität. Außerdem hat der neue Eigentümer die Vermögenswerte zu ihrem Marktwert und somit „beihilfefrei“ erworben, da die Vermögenswerte in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bietverfahren veräußert wurden.
Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, wird die nichtvertrauliche Fassung des Beschlusses über das Beihilfenregister auf der Website der GD Wettbewerb unter der Nummer SA.31550 zugänglich gemacht.